Wir fasten schon genug! Verzicht gehört augenblicklich zum täglichen Geschäft. Für jeden von uns. Auf je unterschiedliche Weise, allerdings zugegeben in einem unterschiedlichen Maß. Der möglicherweise folgenreichste Verzicht ist der auf unmittelbare Begegnung. Es ist nicht im Sinne des Erfinders, dass wir uns aus dem Weg gehen müssen, da bin ich sicher. Den Auftrag, eine Fasten-Zeit zu gestalten, spüre ich folglich in diesem Jahr überhaupt nicht!

Mich beschäftigt etwas anderes: der Blick auf das Ganze, auf den Spannungsbogen! Ich möchte verstehen, welche Grundbewegung steckt in der Passion. In diesen Tagen, in denen wir so wenig Einblick haben in das, was uns das gesamte Corona-Geschehen sagen soll oder will, könnten wir versuchen, das einzuordnen, was Jesus und seine engsten Freunde miteinander und füreinander erlebt haben. Jetzt, wo uns der Über-blick fehlt, kann uns möglicherweise dieser Weg ein roter Faden sein.

Bei der Betrachtung der Evangelien der sechs Fastensonntage entdecke ich einen Prozess, der mir exemplarisch erscheint. Die Erfahrungen, die dort gemacht werden, sind übertragbar auf unser (geistliches) Leben.

ver-suchen

Wir suchen, versuchen und vertun uns immer wieder im Alltag. Vieles führt uns in Versuchung – so wie Jesus in der Wüste. Umwege, Irrwege, Neues ausprobieren, Altes aufgeben, die eigene Verantwortung spüren – all das ist uns bekannt, wenn wir jeden Tag unseren Aufgaben und Verpflichtungen nachkommen. Versuche und Versuchungen gehören zu unserem Leben dazu – sowohl mit den Menschen, die uns anvertraut sind, als auch mit Gott. Da tut Begleitung und Beratung gut. Darum können wir in der ersten Fastenwoche Gott und die Menschen bitten.

ver-klären

Zwischen Kopf und Herz, zwischen Verstand und Gefühl bewegt sich unser Leben, auch unser Leben mit Gott. Wir kennen im ganz persönlichen, geistlichen Weg zu einem Glauben an und mit Gott die Zeiten des Hallelujas und die des Erschreckens, der Zweifel. „Ja, stimmt, du Gott, bist da“ und “Das kann nicht sein, so jemanden gibt es nicht, unrealistisch!“ Beide Erfahrungen: die innere Gewissheit und das Unheimliche, die Distanz und Leere begegnen uns – so wie den Jüngern Jesu. Erinnern wir uns in der zweiten Fastenwoche an konkrete Situationen beider Erfahrungen!

ver-innerlichen

Immer wieder hat Jesus in der Begegnung mit suchenden Menschen erklärt, dass sie innen Nahrung brauchen. Deshalb ärgern ihn die Händler im Tempel. Er setzt auf das Unverkäufliche, nicht auf das Äußere, sondern das Innere. Wir brauchen eine klare Ordnung, eine Ausrichtung, die von innen her kommt. Überdenken wir in der dritten Fastenwoche, was in meinem Leben neue Ausrichtung braucht, wo ich Ordnung schaffen könnte, was neu beseelt werden dürfte.

ver-stehen

In vielen Heilungsberichten wird uns vor Augen geführt, wie stark der Wille und die Bereitschaft Jesu war und ist, uns sehend zu machen. Er hat Blinden die Augen geöffnet, sich mit Nikodemus darüber unterhalten, wie wichtig es ist, ins Licht zu treten. Dabei ist immer der erste Schritt zum Sehen und Verstehen, dass Menschen – damals wie heute – Veränderungen zulassen. Es ist und bleibt ein Risiko, sich auf die Versprechen und den Heilswillen Gottes einzulassen. Nicht umsonst sind die Evangelien so voller Wunder. Sie fordern uns dauernd auf, durch die scheinbaren Realitäten und Unveränderlichkeiten – „Da kann man nichts machen!“ – hindurchzuschauen; hinter den Dingen der Welt die Verheißung zu entdecken. In der vierten Fastenwoche könnten wir Wunder suchen gehen!

ver-trauen

Am Höhepunkt dieses Weges wird dann erkennbar, was Jesus auch erst lernen und erfahren musste und in Teilen auch über seine Kraft ging: zu vertrauen. Sich zu über-lassen, wo es um alles geht – um Leben und Tod. Diese fünfte Fastenwoche lädt zur Dankbarkeit ein – für die Menschen, die mir Vertrauen schenken und für die, denen ich Tag für Tag vertrauen kann.

ver-ehren

Erst jetzt, nach einem langen Weg, ist die Tür offen für die Erfahrung von Ewigkeit. Durch das Dunkel hindurch regt sich die Hoffnung, am Ende sogar die Freude darüber, dass wir leben werden bei Gott – alle. Osterjubel, vielleicht nur still und leise.

Bleiben Sie behütet und gesegnet!
Herzliche Grüße – auch im Namen von P. Kornelius

Lydia Bölle