„Es geschah als sie dort waren. Da erfüllten sich die Tage.“ (Lk 2,6)
Liebe Gemeinde,
diesen Wunsch nach Erfüllung, den tragen wir alle am Weihnachtsfest tief in uns! Auch oder gerade in diesem Jahr, in dem Flucht, Heimatlosigkeit und Fremde als Folge von Krieg und Gewalt wieder so nah an uns herangerückt sind wie lange nicht. Dass sich unsere Tage wieder mit Heil und Segen erfüllen mögen, das wünschen wir uns und vor allem denen, deren Schicksal wir täglich vor Augen geführt bekommen! Die aktuelle Erfahrung des Unfriedens verlangt ein tieferes, inneres Verstehen der Menschwerdung Gottes; eines, das über das liebliche Brauchtum des Krippenspiels hinausgeht.
Wenn wir wieder spüren, dass der Mensch auch ein jenseitiges Wesen ist; dass er nicht richtig wahrgenommen wird, wenn Gott nicht mitgedacht wird, dann sind wir nah dran am Geheimnis dieser Heiligen Nacht. Man kann den Menschen und Gott seit der Geburt Jesu nur in einem Atemzug nennen. Diese Verbrüderung Gottes mit dem Menschen ist eine ungeheure Bejahung des Lebens. Dabei ist allerdings auch klar:
Gott wird Mensch. Der Mensch nicht Gott. Diese Schöpfungsordnung bleibt, aber sie ist geweiht, gesegnet, geheiligt… wie immer man es ausdrücken möchte.
Konkret erfahrbar wird das dort, wo Menschen ein göttliches Herz haben. Und das zeigt sich in der Aufmerksamkeit und Zuwendung zum Nächsten. Das kann eine großzügige Spende sein, ein Anruf oder ein Brief. Es gibt sie, diese kleinen Wunder des Alltags, die den Menschen größer machen, und zwar sowohl den, der gibt, als auch den, der empfängt. Da, wo wir über uns hinauswachsen, die Grenzen der Traurigkeit, der Trägheit, des Stolzes oder des Desinteresses überwinden, beginnt Weihnachten. Jesus wird in unserer Mitte geboren, wo wir einander Herberge sind. Und das ist schwieriger als man denkt. Zum einen, weil ich genau den, der bei mir gerade Geborgenheit erfragt, nicht verstehe oder nicht besonders mag. Und zum anderen, weil ich es bei dem, der es mir anbietet, ungemütlich und unbequem finde. Das idyllische Krippendasein hat auch eine nackte, unbarmherzige Seite, wie in einem zugigen Stall eben.
Aber Weihnachten ist das Fest der Menschlichkeit, der Traum vom Paradies, das wiederkehrt. Und genau diese Vision von einer menschlicheren Welt hält uns in Atem, lässt uns nicht unberührt. Sie hält die Sehnsucht wach, dass nicht alles bleiben muss, so wie es ist. „Siehe“, ruft der Engel, der geheimnisvolle Bote Gottes, den Hirten zu: „Ich verkündige euch große Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll: Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Christus, der Herr. Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens“. Es wird kein Zufall sein, dass der Engel beides in einem Satz erwähnen. Die Ehre für Gott und der Friede bei den Menschen gehören zusammen. Durch das Ereignis in Bethlehem haben wir Teil an der Ehre Gottes. Wir sind so wertvoll, dass Gott uns einen Retter schickt. Das ehrt uns. Es ehrt uns so sehr, dass wir antworten möchten mit unserem Leben – aus Freude. Das gibt Gott die Ehre und den Menschen Frieden.
Ihnen und euch allen ein friedvolles Weihnachtsfest!
Lydia Bölle