Liebe Gemeinde!
Einmal im Jahr hält die Welt den Atem an – wenigstens in vielen Teilen. Der Advent: es ist als liefe die Zeit auf einen Punkt zu, um den sich alles dreht; aber wenn er erreicht ist, nehmen ihn nur wenige wahr.
Es ist eine Spannung zu spüren, eine Erwartung – wessen auch immer. Selbst die Menschen, denen Weihnachten nichts mehr bedeutet, werden zu Weihnachten unruhig. Und auch die Gläubigen tun sich mitunter schwer mit dieser Nacht. Ihr Geheimnis und damit ihr Gewicht sind zu groß, als dass wir sie einfach übergehen könnten oder wollten. Selbst wer im Streit liegt, spürt die große Sehnsucht der Menschheit nach Frieden. Manche halten diese Nachtmitte nicht aus – und verreisen, innerlich und äußerlich.
Es ist schon erstaunlich, dass Weihnachten in unserer nachchristlichen Zeit noch solche Reaktionen hervorruft. Wer einmal das Paradies der Kindheit verlassen hat, lebt in einer verwundeten Welt. An Weihnachten spürt er das besonders. Und das tut weh. Unsere Grüße und Wünsche, die wir zu diesem Fest schenken, sprechen manchmal eher hilflos von Gnade und Glück. Es gibt so viele abgenutzte Worte für das Geheimnis, das uns an Weihnachten anrührt, und der Weg dahin führt durchs Dunkel.
Warum ist diese Nachtmitte – auch – schwer auszuhalten? Warum ist so mancher froh, „wenn alles wieder mal vorüber ist“?
Wir sprechen von der Weihnachtsfreude. Mit unseren Briefen und Ge-schenken versuchen wir, etwas von dieser Freude weiter zu vermitteln. Aber da ist immer der Punkt, wo es nicht weiter geht, wo wir hilflos werden vor dem, was sich kaum benennen und schon gar nicht machen lässt.
Wenn diese Nacht nicht folgenlos an uns vorübergehen soll, müssen wir sie aushalten. Wir müssen uns ihr stellen, ihrem Geheimnis, von dem wir ahnen, dass es unser Geheimnis ist: das Geheimnis Gottes, der uns nah ist. Der Gott, der sich uns in dieser Nacht offenbart, ist uns nicht unendlich fern, sondern unendlich nah: so nah, dass wir ihn nicht anschauen können. Er zeigt sich uns im Reichtum unserer menschlichen Wirklichkeit, aber auch in ihrer Begrenztheit.
Natürlich ist es gut, die alten Verheißungen zu hören. Es ist gut, wieder gesagt zu bekommen, was die Hirten damals in Bethlehem gesehen und er-fahren haben. Aber es geht ja um viel mehr als nur um eine Geschichte; es geht um eine Erinnerung, die uns zutiefst betrifft, weil sie etwas über uns aussagt: dass unser Leben Gottes Leben ist. Wenn Gott wirklich Mensch werden kann, voll und ganz und nicht nur „als ob“, dann hat mein Leben auf eine Weise mit Gott zu tun, dass es mir den Atem rauben kann.
Wer hätte ihn nicht schon gesucht an Weihnachten im Stall, in der Krippe, mit den Augen, mit den Händen – den Geborenen – mit dem Herzen; wer hätte sich nicht schon einmal zutiefst gewünscht, dabei gewesen zu sein, die Engel singen zu hören, das Staunen, die knisternde Atmosphäre gespürt zu haben. Wer hätte nicht gerne das Gesicht Marias – und Josefs – gesehen, blickend auf den Sohn Gottes.
Denn dieser Gott ist nicht ein fremder Mythos, sondern er wird konkret: konkret zuerst einmal im Leben und im Schicksal Jesu von Nazareth; dann aber eben auch konkret in meinem Leben hier und jetzt. Gerade diese Konkretheit war es, die schon vor zweitausend Jahren den Menschen zu schaffen gemacht hat; und sie tut es, wenn wir ehrlich sind, auch heute noch.
Wo Gott uns anspricht und berührt, reagieren wir zuerst einmal mit Furcht. Die Hirten „fürchteten sich sehr“ (Lk 2,9) als der Glanz des Herrn sie um-strahlte. Der weihnachtliche Gruß der Engel lautet deshalb: „Fürchtet euch nicht!“ Lasst euch nicht aus der Fassung bringen! Verkriecht euch nicht in Angst oder Betäubung. Es geht ja nicht um etwas Schreckliches, sondern um „eine große Freude“ (Lk 2,10). Die Hirten spüren etwas von der Größe des Augenblicks. Sie fürchten sich, aber sie sind auch bereit für die Verheißung und folgen ihr durch die Nacht. Nur so finden sie das Kind, „das in Windeln gewickelt in einer Krippe liegt“ (Lk 2,12).
Für uns kommt es in dieser Nacht darauf an, aus der undeutlichen Beklemmung herauszufinden, in die sie uns stürzen kann; und auch aus der oberflächlichen Freude, die nichts mit dem eigentlichen Geheimnis von Weihnachten zu tun hat.
Wir müssten etwas von der Furcht in uns vernehmen, die die Hirten bei der Botschaft der Engel ergriffen hat. Wir müssten es wenigstens einen Augenblick lang aushalten mit dem Geheimnis des menschgewordenen Gottes, das immer zu groß für uns bleibt. Dann könnte sich uns auch etwas von
dem Licht zeigen, das wir in diesen Tagen immer wieder symbolisch entzünden.
Wir würden spüren, dass es da eine Heimat in uns gibt, aus der uns niemand vertreiben kann – außer wir selbst. Und wir ahnten wieder, wohin wir unterwegs sind.
Eine erfüllte Zeit der Erwartung und die Geburt Jesu Christi in unser aller Herzen wünschen
Lydia Bölle & P. Kornelius Maria