+ Aus dem heiligen Evangelium nach Matthäus Mt 28,16-20

In jener Zeit gingen die elf Jünger nach Galiläa auf den Berg, den Jesus ihnen genannt hatte. Und als sie Jesus sahen, fielen sie vor ihm nieder, einige aber hatten Zweifel. Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Vollmacht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.

„… einige aber hatten Zweifel“
„… alles zu befolgen.“

„… alle Vollmacht“
„… alle Völker“

Sie stehen sich so selbstverständlich gegenüber als würden sie ihre Gegensätzlichkeit und Unvereinbarkeit gar nicht bemerken, die Wörter „Zweifel“ und das dreimalige „alle“ in der Rede Jesu! Alle Vollmacht, alle Völker, um alles zu befolgen… absolut, ohne Ausnahme, so lautet sein Auftrag an die Jünger. Und das, obwohl er bereits hier unter seinen engsten Freunden auch einigen begegnet, die Zweifel hegen. Sein Anspruch liegt bei hundert Prozent. Keine halben Sachen – wenn schon, denn schon! Aber: das gilt auch für die Zusage seiner bleibenden Gegenwart – ebenfalls für alle Tage! Seine Güte und Verbundenheit bleiben, und zwar ebenso grenzenlos!

Dennoch ist es nicht zu übersehen: Da tut sich ein Spalt auf zwischen der absoluten Erwartung und den Bedenken und Vorbehalten. Ich ahne, dass es wichtig ist, diesen Zwischenraum zu bemerken. Er erinnert mich an die Beschilderung in Londons U-Bahn-Stationen: „Mind the gap!“ Bitte beachten Sie die Lücke! In diesem Fall zwischen Zug und Bahnsteigkante! Ja, es gibt sie, diese schreckliche Lücke zwischen dem, was ich an manchen Tagen mit brennendem Herzen glaube und mit großem Eifer verfolge, und dem, was mich immer wieder zweifeln lässt oder misstrauisch macht! Dieser Zwie-spalt, er macht zu schaffen, ist bisweilen anstrengend und erzwingt meine Aufmerksamkeit. Ich muss mich damit beschäftigen, kann nicht einfach darüber hinwegsehen.

„Mind the gap!“ Dieses Bild vom Einstieg in den Zug enthält wertvolle Hinweise für die Nachfolge Jesu. Es fordert mich auf: Renn nicht einfach drauflos. Schau auf die Stolperfallen, mögliche Abgründe; achte auf das, was du überwinden musst. Nimm deine Zweifel wahr und ernst. Und bleibe gleichzeitig gewiss: Du darfst trotzdem einsteigen und mit Vollgas mitfahren. Denn es ist ja tatsächlich schwer zu beantworten, wann Menschen hundertprozentig sind: Wann ist denn eine Schülerin optimal vorbereitet fürs Abitur? Wann hat denn der Musiker genug geübt, um vor einem großen Publikum auftreten zu können? Wann hat der Sportler genügend trainiert, um an einem großen Wettkampf teilnehmen zu können? Wann kann man schon überzeugend sagen: Ich habe alles Nötige zusammen, es kann mir nichts passieren. Der Spalt, die Lücke bleibt – und das ist gut so. Sie fordert mich heraus, dran zu bleiben, weiter zu fragen, mich nicht zu früh zufriedenzugeben mit dem, wie es ist.

Und was macht Jesus mit seinen zweifelnden Jüngern? Mit den Freunden, die ihre Lücken erkennen? Er sagt nicht: Wenn das so ist, dann müssen wir erst mal an euren Defiziten arbeiten. Jetzt müsst ihr erst mal in ein Trainingslager und einen Crashkurs in Sachen Glauben machen. Sondern Jesus sagt: Auf geht’s. Los geht’s. Ihr seid jetzt dran. Mein Vater und ich, wir kümmern uns um das, was ihr dazu braucht, aber ihr brecht jetzt auf! Ihr, genau ihr seid jetzt mein Mitarbeiterteam für das Unternehmen „Weltrettung“.

Gemeinsam das Risiko des Lebens tragen, es nicht vermeiden wollen – das ist die Idee! Ich höre Jesus heute zu jedem Menschen sprechen: Natürlich, du sollst nicht in den Abgrund geraten, deshalb „mind the gap“, aber riskiere den Schritt in den Zug des Lebens, nach vorne, ergreife den Auftrag, den ich dir gebe! Denn du kannst sicher sein: Ich, der „Ich-bin-da“ begleite dich!

Einen schönen und erholsamen Sonntag! Lydia Bölle