+ Aus dem heiligen Evangelium nach Markus 1, 40-45

In jener Zeit kam ein Aussätziger zu Jesus und bat ihn um Hilfe; er fiel vor ihm auf die Knie und sagte: Wenn du willst, kannst du mich rein machen. Jesus hatte Mitleid mit ihm; er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will – werde rein! Sogleich verschwand der Aussatz und der Mann war rein. Jesus schickte ihn weg, wies ihn streng an und sagte zu ihm: Sieh, dass du niemandem etwas sagst, sondern geh, zeig dich dem Priester und bring für deine Reinigung dar, was Mose festgesetzt hat – ihnen zum Zeugnis. Der Mann aber ging weg und verkündete bei jeder Gelegenheit, was geschehen war; er verbreitete die Geschichte, sodass sich Jesus in keiner Stadt mehr zeigen konnte; er hielt sich nur noch an einsamen Orten auf. Dennoch kamen die Leute von überallher zu ihm.

„Wenn du willst…“
„Ich will – werde rein!“

„Sieh, dass du niemandem etwas sagst…“
„Er verbreitete die Geschichte…“

Für den Heiligen Franz von Assisi war es die entscheidende Wende in seinem Leben: die Berührung des Aussätzigen vor den Toren seiner Heimatstadt! Nicht das Wahr-nehmen, das Nachdenken oder das Gespräch mit dem schwerkranken Menschen war dabei das Entscheidende, sondern das konkrete Anfassen der Wunden. Der Kontakt mit der unansehnlichen, ekligen und ansteckenden Haut hat ihn von Grund auf verändert, ja erneuert. So wird es mehrfach berichtet. Sicher ist es schon viel, wenn ich die Not des Anderen sehe und im Kopf habe. Ebenso, wenn ich ein Gefühl des Mitleids empfinde, ihn also an mein Herz lasse. Aber erst das Berühren bewirkt, dass ich selbst Teil dieser Krankheit bzw. dieser Lebenssituation werde. Ich erkläre mich bereit, das Schicksal des aussichtslos Erkrankten zu teilen. Das macht den Unterschied.

Dieses Erlebnis erinnert mich an eine immer wiederkehrende unangenehme Situation während meiner Schulzeit. Sie ist in ihrer existentiellen Bedeutung sicher gar nicht zu vergleichen mit der eines Aussätzigen, aber es gab Tage, da fühlte es sich durchaus so an. Im Sportunterricht wurden regelmäßig Mannschaften gewählt, die anschließend gegeneinander spielten. Die „Resterampen“ waren immer von den gleichen Schülern besetzt. Und da war dieser Unterschied auch schon zu spüren: Ich kann beherzt über gerechte Regeln diskutieren und nach gefälligeren, humaneren Möglichkeiten der Verteilung von Chancen suchen. Ich kann auch voller Inbrunst dem Gedemütigten mit-teilen, wie leid mir das tut und dass es sicher nicht schön ist, der Letzte zu sein. Oder aber ich entscheide mich dafür, den, der wiedermal übrig bleibt, zu nehmen und hole mir damit das „Problem“ in die eigene Mannschaft.

Es würde sehr nahe liegen, diesen Handlungsimpuls, den Jesus und Franz an uns alle weitergeben, auch auf die gegenwärtige Coronapandemie zu übertragen, weil sich die Situationen durch das Phänomen der ansteckenden Krankheit so ähnlich sind. Aber das ist sehr gewagt. Mehr noch. Nein, es ist sicher keine gute Idee, heroisch die Gefahr einer Ansteckung in Kauf zu nehmen. Angemessene Isolation und Absonderung machen in diesem Zusammenhang Sinn und bieten Schutz – so wie damals. Opferbereitschaft ist mitunter auch fahr-lässig. Und dennoch bin ich dankbar, dass es Menschen gibt, die im Augenblick genau das tun, was Jesus und Franz auch getan haben – freiwillig oder auch sehr viel weniger selbstbestimmt. Sie haben auf unterschiedliche Weise „Anteil“ an der Krankheit, weil sie sich in die Nähe wagen (müssen). Und das verdient allerhöchsten Respekt!

Auf den ersten Blick mutet es dann etwas eigenartig an, dass Jesus vom Geheilten mit Nachdruck verlangt, dass er bitte von seiner Heilung nichts berichten möge. Weil der Aussätzige aber munter alle Welt „bei jeder Gelegenheit“ an seinem Glück teilhaben lässt, kann Jesus sich von da an nicht mehr frei bewegen. In diesem Sinne wird auch für ihn diese Begegnung zur entscheidenden Wende. Er wird ab sofort gesucht – und offen-bar auch gefunden! Selbst dann, wenn er sich bewusst in die Einsamkeit zurückzieht. Er kann vor seinem Lebensauftrag nicht mehr fliehen. Der Geheilte weiß genau, was Jesus vermag, wenn er will, nämlich „rein machen“. Jesus muss und will sich dem stellen. Diese Heilung geht nicht spurlos an ihm vorbei. Er muss sein Leben umstellen. So wie Franz.

Zu welcher spürbaren Veränderung bin ich bereit? Wer wartet auf meine Verbindlichkeit? Wem möchte ich so nah sein, dass ich selbst handfeste Folgen in Kauf nehme? Das sind Fragen, die mich auch für die beginnende Fastenzeit beschäftigen (können).

Allen einen friedvollen und schönen Sonntag!

Lydia Bölle