+ Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes Joh 15,9-17

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Wie mich der Vater geliebt hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe! Wenn ihr meine Gebote haltet, werdet ihr in meiner Liebe bleiben, so wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe. Dies habe ich euch gesagt, damit meine Freude in euch ist und damit eure Freude vollkommen wird. Das ist mein Gebot, dass ihr einander liebt, so wie ich euch geliebt habe. Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt. Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch auftrage. Ich nenne euch nicht mehr Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Vielmehr habe ich euch Freunde genannt; denn ich habe euch alles mitgeteilt, was ich von meinem Vater gehört habe. Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht bleibt. Dann wird euch der Vater alles geben, um was ihr ihn in meinem Namen bittet. Dies trage ich euch auf, dass ihr einander liebt.

 

„…damit meine Freude in euch ist.“
„Es gibt keine größere Liebe…“

„Ich nenne euch nicht mehr Knechte…“
„…denn ich habe euch alles mitgeteilt.“

Knechte, das sind in meinem Kopf Menschen aus einer anderen Zeit. In dem ländlichen Milieu, in dem ich aufgewachsen bin, werden allerdings bei bestimmten Gelegenheiten immer noch uralte Geschichten erzählt, in denen von Erlebnissen mit Knechten berichtet wird. Noch in der Generation meiner Großeltern gehören sie zum alltäglichen Leben und zur gesellschaftlichen Wirklichkeit dazu. Mägde und Knechte sind in ihrer Kindheit selbstverständlicher Teil der Dorfgemeinschaft, auch dann, wenn sie inzwischen offiziell Landarbeiter genannt werden. In den Erzählungen wirken diese Menschen häufig sehr einfältig, wenig gebildet, aber durchaus gutmütig, manchmal auch bedürftig. Das Leben eines Knechtes erscheint eher eintönig und trist. Inzwischen ist der Beruf gänzlich ausgestorben, aber den Begriff verwenden wir noch. Wir „knechten“, wenn wir schwere, ermüdende Arbeit erledigen müssen. Und Pferdefreunden ist auch der „Stiefelknecht“ noch ein guter Begleiter. Er dient ihm.

Der Knecht arbeitet nicht eigenverantwortlich. Sein Leben ist fremdbestimmt. Er gehorcht, ist Empfänger von Aufträgen, die ein anderer sich ausdenkt und auch verantwortet. Oft kennt er den Anlass oder den Zusammenhang einer Anweisung gar nicht. Hartes Arbeiten mit den eigenen Händen, das ist sein Geschäft. Zur Zeit Jesu ist der Begriff „Knecht“ sogar Ausdruck für die Zugehörigkeit zum Sklavenstand. Unterordnung ist eine Erfahrung, die damals sehr, sehr viele kennen und auch kaum hinterfragen, weil sie schon in den Sklavenstand bzw. als Knecht geboren werden. Von daher klingt der Ausdruck „Knecht Gottes“ in den Ohren gläubiger Juden sogar sehr wertschätzend, bedeutet er doch, nicht nur einem Menschen, sondern Gott zu gehorchen. Ihm zu gehören und nach seinen Weisungen zu leben, verspricht Anerkennung und Sicherheit. Und dieser selbstverständliche ehrfurchtsvolle Abstand zu Gott lässt den Israeliten erst gar nicht auf den Gedanken kommen, seine Beziehung zu ihm als „Freundschaft“ zu bezeichnen.

Daran lässt sich ermessen, wie befremdlich, vielleicht sogar gefährlich es sich anhören muss, wenn Jesus die Jünger als seine Freunde bezeichnet. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes un-glaublich, was er zu seinen Jüngern sagt: Durch mich ändert sich eure Beziehung und euer Blick auf Gott. Durch mich weiht euch Gott in seine Pläne ein. Durch Jesus werden wir „Mitwisser“ Gottes! Bei aller Verborgenheit und bei aller Unbegreiflichkeit ist spätestens durch ihn klar: Er ist kein willkürlicher Gott, kein stummes Schicksal, keine unberechenbare anonyme Macht. Und ich bin nicht einfach Befehlsempfängerin, sondern werde einbezogen in die Gedanken und Absichten Gottes mit uns und seiner Welt. Durch Jesus zeigt er mir, was hinter allen seinen Geboten steckt, nämlich letztlich nur ein Gebot, das Gebot der Liebe. Und da, wo ich verstehe, was Jesus mit Liebe meint und wie er selbst geliebt hat, da entdecke ich Gott und seinen Lebenswillen. Aber dieses Göttliche kann ich nicht wahrnehmen als Knecht oder Unter­gebene, sondern nur als Ein­geweihte, als Freundin. Ich brauche die eigene Entscheidungsfreiheit, mich Gott zuzuwenden und ihm mein Herz zu öffnen. Nur als Vertraute atme ich seinen Geist und spüre seinen Wunsch. Bloß der, der vertraut, folgt Gottes Rufen und vernimmt es genau dort, wo keine Liebe ist. Allerdings gilt immer dieses „durch mich“! Die Freundschaft geht von Jesus aus! Und sie ist mehr als ein gleichberechtigtes Geben und Nehmen. Freundschaft mit Jesus und seinem Vater ist Erwählung: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt…“ Die Initiative geht von ihm aus, sie ist Berufung.  Und diese will gehört und angenommen werden. „Steh auf!“ Dieses Wort des Petrus in der heutigen Lesung klingt wie die Aufforderung Gottes an jeden von uns: Mensch, stell dich aufrecht hin! Sieh mir in die Augen. Such den Kontakt zu mir! Nimm meine Freundschaft zu dir an!

Einen erholsamen und interessanten Sonntag! Lydia Bölle