+ Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes Joh 10,11-18
In jener Zeit sprach Jesus: Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen, lässt die Schafe im Stich und flieht; und der Wolf reißt sie und zerstreut sie. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt. Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben hin für die Schafe. Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen und sie werden auf eine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten. Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen.
„Ich kenne die Meinen…“
„…, weil er nur ein bezahlter Knecht ist.“
„Ich habe noch andere Schafe…“
„…ich gebe es von mir aus hin.“
„Pass gut auf dich auf!“ Schon oft habe ich diese Worte gehört – und sie auch selbst anderen mit auf den Weg gegeben! Beherzt ausgesprochen gelingt es diesem Satz, ein dankbares Lächeln ins Gesicht des Gegenübers zu zaubern. Denn er drückt Zuwendung und Wertschätzung aus. Er gehört zu denen, die man besser nicht einfach so dahinsagt. Wer diese Worte bewusst jemandem zum Abschied mitgibt, dem ist es wichtig, dass dieser gesund und wohlbehalten wiederkehrt. Es schwingt tiefe Freundschaft und Verbundenheit in dieser Formulierung mit. „Pass gut auf dich auf! Denn du bist (mir) wichtig!“ Mich erinnert diese Bitte an ein Gedicht von Berthold Brecht:
Der, den ich liebe
hat mir gesagt,
dass er mich braucht.
Darum gebe ich auf mich Acht
sehe auf meinen Weg und
fürchte von jedem Regentropfen,
dass er mich erschlagen könnte.
Eine feinfühlige und aufmerksame Haltung mir selbst gegenüber drückt sich darin aus.
Im Licht des heutigen Evangeliums bekommt das „Aufpassen“ dann noch eine ganz andere, neue Qualität. Dort wird mir ein Hirt versprochen. Ein Hüter aller Menschen kündigt sich an. Jesus sichert uns allen zu, dass er sogar sein Leben geben will für jeden! Dabei passt das Bild vom Hirten und seinen Schafen genau in die Lebenswelt des Evangeliums. In unseren Ohren allerdings wirkt es auf den ersten Blick sehr kindlich oder naiv, vielleicht sogar kitschig. Und mit einem Schaf verglichen zu werden, gefällt auch nicht jedem. Aber es wirft zurecht die Frage auf: Reicht es, auf mich selbst aufzupassen? Geht das überhaupt? Selbstverständlich ist jeder für sein eigenes Leben verantwortlich, aber aufpassen und Acht geben ist etwas, das doch zuerst auf den anderen gerichtet ist. Natürlich sind Selbstsorge oder auch Selbstliebe Gebot und Auftrag, die mir gelten. Aber aus eigener Erfahrung weiß ich, dass ich jemanden brauche, der aufpasst – ja, auch auf mich!
Schon ziemlich am Anfang der Bibel wird eine ganz fundamentale Frage gestellt: Soll ich meines Bruders Hüter sein? Die Antwort darauf durchzieht die ganze Heilige Schrift: Ja! Die Welt funktioniert nur dann, wenn wir füreinander Hüterinnen und Hirten sind. Dazu sind wir geboren, dazu sind wir da. Es zeigt sich ja im Alltag immer wieder: das Leben besteht aus asymmetrischen Situationen, aus Geben und Nehmen. Nur wenn wir beides sind, nämlich Menschen, die geben und Menschen, die nehmen, also Hirten und dann wieder Schafe, gelingt ein Wohlergehen aller.
Aber reicht auch das? Schaffen wir das? Jesus vermutet viele bezahlte Knechte unter den Hirten der Welt. Diese lassen im Zweifel ihre Herde im Stich. Neben der Kritik an den Pharisäern, die sich hier äußert, ist das eine Anfrage, die uns allen gilt. Er weiß: Hirt sein bedeutet, seine Schafe gut zu kennen, sich in sie hineinversetzen zu wollen und zu können. Wer gut aufpassen möchte auf den Anderen, der kann dessen Schwächen und Stärken einschätzen. Er möchte ihm viel zutrauen und will ihn in seinen Stärken unterstützen. Und wenn es darauf ankommt, wird der Hirt ihm hundertprozentige Rückendeckung geben. Und genau das verspricht Jesus, als Gottessohn und als Menschensohn. Er ist so ein Hirt, verbindlich und vorbildlich!
Um im Bild des Evangeliums zu bleiben: Nein, ich bin kein naives Schaf und ich fühle mich auch nicht orientierungslos. Aber das Versprechen Jesu mein Hüter und Hirt zu sein, findet bei mir ein offenes Ohr! Es sind ganz nahe, feine Worte, mit denen sein Verhältnis zu den Schafen, zu denen, die ihm anvertraut sind, beschrieben wird. Ich kann sie gut hören, gerade weil die Hirten der Welt sie allzuoft vermissen lassen.
Einen entspannten und erholsamen Sonntag! Lydia Bölle