+ Aus dem heiligen Evangelium nach Johannes Joh 3,14-21

In jener Zeit sprach Jesus zu Nikodemus: Wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat. Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, damit er die Welt richtet, sondern damit die Welt durch ihn gerettet wird. Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht an den Namen des einzigen Sohnes Gottes geglaubt hat. Denn darin besteht das Gericht: Das Licht kam in die Welt, doch die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht; denn ihre Taten waren böse. Jeder, der Böses tut, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind.

„…wird nicht gerichtet…“

„…ist schon gerichtet…“

„… darin besteht das Gericht.“   

 „…kommt nicht zum Licht.“

 

Es ist weniger ein Gespräch als eine Grundsatzerklärung, die Jesus Nikodemus mitteilt. Er spricht von sich in der dritten Person, so als schaue er von oben auf sich selbst. Geradezu abstrakt beschreibt er sich und seinen Auftrag. In Symbolen verdeutlicht er, was und wie er von Gott her gemeint ist. Lauter theologische Lehrsätze. Ich kann mir kaum vorstellen, dass Nikodemus versteht, was Jesus ihm mitteilen will. Es ist eine eher unpersönliche, beziehungsfreie Rede – exakt so, wie ich mir ein Gespräch, in dem einer den anderen verstehen möchte, nicht vorstelle.

Wahrscheinlich ist diese Erklärung von Jesus auch so nicht gehalten worden. Hier handelt es sich wohl um die Wiedergabe eines Gespräches, das nach Jesu Tod Glaubensgrundsätze festhalten möchte. Das ist nachvollziehbar. Dennoch finde ich es schade, dass es bei der Betrachtung des Besonderen an diesem Menschen Jesus immer solcher Anstrengung bedarf, um den Glanz und die Freude seiner Botschaft zu spüren. Erlösung und befreiende Botschaft geht doch eigentlich anders – einfacher, direkter!

Ich hoffe, dass Nikodemus jenseits der eher distanziert wirkenden Worte wahrnehmen kann, dass es Jesus am Ende doch um nichts anderes als um die Beziehung zu ihm geht. Ich wünsche ihm, dass er die Auskunft Jesu, ewiges Leben zu erhalten und nicht gerichtet, sondern geliebt zu werden, wenn er die Freundschaft mit ihm beginnt, nicht als Text, sondern als Angebot, als Versprechen, oder am Ende vielleicht sogar als innere Gewissheit hören kann. Denn diese Botschaft erreicht – nicht nur ihn, sondern jeden Menschen – nicht über die Ohren und durch den Kopf, sondern nur durch das Herz. Natürlich ist Glaube keine Gefühlsduselei. Aber auch keine Buchstaben- oder Wörtersammlung! Hinter die Wörter zu schauen und den Sprecher dieser Botschaften zu entdecken, das ist die Aufgabe, die uns nicht erspart bleibt. Dadurch, dass Jesus über sich nicht in Ich-Form spricht, wird deutlich, dass der eigentliche Sprecher Gott selbst ist. Und der sagt hier: „Ich bin so sehr verliebt in die Welt, dass ich Teil von ihr, ja von eurem Leben sein möchte, ihr Menschen! Ich will euch so begegnen können, wie ihr es am besten verstehen und leben könnt. Ich möchte euch treffen, mit euch zusammen sein, gemeinsame Zeit mit euch verbringen, euren Alltag teilen… Deshalb wähle ich für eine bestimmte Zeit diese Form meiner Gegenwart. Ich werde selbst Mensch. Und dann wird sich für mich und für euch Menschen, jeden einzelnen, entscheiden, ob wir uns finden. Ihr habt die Wahl zwischen Licht und Finsternis, zwischen Leben und Nicht-Leben.“

An der Stelle kann ich dann ahnen, dass Gott nicht statisch ist, nicht eine unverrückbare Wahrheit. Er ist kein „Es“ und auch kein starres ein-faches Wesen. Er ist mehr-fach! Es gehört zu seiner Natur, in sich beweglich und dynamisch zu sein. Er ist per se Beziehung. Schon allein aus der Erfahrung mit sich selbst weiß er, wie es ist, „Familie“ zu sein, einen Sohn zu haben und zu verlieren, Leben weiterzugeben und sterben zu sehen.

Ein solcher Gott ist dann doch wieder nahbar und erreichbar. Und er lässt uns in Freiheit entscheiden. Wir dürfen mit ihm oder ihn leben. Gott drängt sich nicht auf. Er bleibt der Fragende, der Anbieter, wir die Antwortenden. Ihm ist das Ziel, was er für jeden von uns vorsieht, immer vor Augen: Niemand soll verloren gehen, unverbunden bleiben, im Dunkeln umherirren…

Und unser Auftrag ist es, uns selbst zu erkennen als Angesprochene, als Re-Agierende. Gott beginnt, wir können nur aus dem sein und werden, was vor uns war, uns nicht selbst erschaffen! Unser konkretes, alltägliches Leben, so wie wir es in jedem Detail gestalten, ist immer eine Antwort auf das geschenkte Leben! Unverdient, einfach geschenkt. Aber es kann nicht unbeantwortet bleiben– nicht einmal theoretisch. Den Inhalt der Antwort, den wählen wir allerdings selbst.

Allen einen frohen Sonntag! Lydia Bölle