Liebe Gemeinde!

Die Auferstehung Jesu war vermutlich auch für die Evangelisten die eigenartigste und unglaublichste Erfahrung ihres Lebens. Das Geschehen am leeren Grab haben sie sich wohl mehr als einmal berichten lassen bevor sie ihm langsam vertrauen können.

Alles beginnt an diesem denkwürdigen dritten Tag damit, dass Frauen zum Grab gehen, um den Toten zu salben. So ist es üblich. So ist es recht. Salben ist ein sehr achtsames Handeln. Es schenkt dem Verstorbenen, der gesalbt wird, noch einmal alle Aufmerksamkeit. Seine Würde wird unterstrichen. Die Berührung des Leichnams Jesu durch Maria aus Magdala und den anderen Frauen wäre sicher voller Warmherzigkeit und Liebe gewesen. Und weil Jesus längst ihr Vertrauter und Freund geworden ist, wohl auch verbunden mit Tränen der Traurigkeit und des Schmerzes. Sie hätten mit allen Sinnen von ihm Abschied genommen. Ein Akt, der zu verstehen sucht, dass Jesus tatsächlich tot ist.

Aber alles kommt anders. Und zwar so anders, dass sie zunächst sehr erschrecken. In ihre innere Stille hinein sprechen Männer in weißen und leuchtenden Gewändern. Ich stelle mir vor, dass die Botschaft dieser Fremden in ihren Ohren verwirrend, vielleicht sogar bedrohlich klingt: „Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist nicht hier.“

Jetzt ist Jesus doppelt weg. Das, was sie vorhaben, wird ihnen genommen. Jesus noch einmal zu sehen und zu berühren, auch das geht plötzlich nicht mehr. Es wäre aber so wichtig gewesen für die treuen Begleiterinnen. Und dann bekommen sie auch noch einen Auftrag: „Geht und sagt seinen Jüngern und dem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen.“ Wie verwirrend muss das gewesen sein. Da wird der Zeitenlauf durchbrochen, die Blickrichtung verändert. Jede Wahrnehmung von Leben und Sterben wird auf links gedreht. Dabei ist doch eigentlich klar: Jesus hat gelebt, ist grausam gestorben und nun ist er tot. So geht Kommen und Vergehen.

In den Köpfen und in den Herzen der Frauen hat die Zeit der Erinnerung bereits begonnen. „Damals“ ist die Perspektive, damals, als Jesus noch bei uns war. Davon würden sie erzählen, sich dankbar in Gedanken zurückversetzen nach Galiläa, an den See Genezareth und gemeinsame Erlebnisse wachrufen. Sie würden sich versammeln und beten, so wie früher, als er noch bei ihnen war. Langsam, aber sicher würde Jesu Lebensgeschichte für die Menschen, die ihm nicht mehr „live“ begegnet sind, zu einer anrührenden Erzählung mit tragischem Ende.

Damals – das ist auch die Perspektive, mit der bis heute viele Menschen auf Jesu Leben schauen. Ich höre immer wieder, dass dieser Mann aus Nazareth für sie zwar durchaus eine Gestalt mit faszinierender Wirkung ist, aber eben nur eine historische. Jesus ist für sie jemand, der tatsächlich mit seinem Wirken die Welt geprägt und verändert hat, aber einer, der war, der gewesen ist. Einige blicken auf ihn mit Respekt, andere eher mit Skepsis. Auf jeden Fall blicken sie weit in die Vergangenheit: Damals … ja damals war alles anders … nicht zu vergleichen mit dem Leben heute …

Damals – mit diesem Wort halten wir uns Jesus vom Leib. Es entsteht ein Sicherheitsabstand zu dem, der sagt, er sei Gottes Sohn. Aber Ostern, die Auferstehung Jesu, macht kurzen Prozess mit dem „damals”. „Jesus ist auferstanden, er ist nicht hier“, sagt der Mann am Grab zu den Frauen. Sie erfahren ein neues Jetzt! Ihr Impuls, mit der Salbung bewahren, sichern und eine tiefe Freundschaft besiegeln zu wollen oder zu können, wird jäh zunichte gemacht. Haltet die Augen offen! Ihr werdet ihn sehen!

Auferweckung Jesu bedeutet auch für sie aufgeweckt zu werden. Sie werden wachgerüttelt, sollen sich nicht verlieren in einem Gedenken, sondern Augen für die bleibende Gegenwart Jesu haben. Seit diesem Tag des leeren Grabes können sie das Wort „damals” getrost streichen, wenn sie von Jesus reden. Und das beglückt nicht nur, sondern ängstigt auch. Das Erschrecken der Jüngerinnen ist nachvollziehbar – bis heute, auch von mir.

Denn einen Jesus, der vor zweitausend Jahren gestorben ist, den habe ich unter Kontrolle. Ein Jesus allerdings, der seitdem als Auferstandener unter uns lebt, der fordert mich immer wieder heraus. Mit dem werde ich nicht so einfach fertig. Ja, stimmt – er ist für mich einer, der mich mit seiner Botschaft inspiriert, trägt und motiviert, aber auch einer, der mich kritisiert und korrigiert. Er mischt sich ein. Gut so. Denn ich brauche ihn – und zwar heute! Lebendig! Halleluja!

Gesegnete und schöne Feiertage! Lydia Bölle